Gurudev Siddha Peeth, im April 2006 — der Höhepunkt der Sommerzeit. Das goldene Leuchtender aufgehenden Sonne lies alles erstrahlen.
Ich war auf dem Weg zur Annapurna Dining Hall zum Frühstück. Die Vögel zwitscherten. Die hohen Bäume winkten mir zu. Eine sanfte Brise wehte durch die von shakti erfüllte Atmosphäre.
Als ich auf dem Weg an der Ganesh-Statue um eine Kurve ging, sah ich, wie Gurumayi auf mich zukam. Die goldenen Strahlen der Sonne fielen auf sie herab, und sie sah aus wie eine Ansammlung von strahlendem, safrangelbem Licht. Gurumayi ging so schnell, dass wir nach kürzester Zeit voreinander standen. Wir lächelten beide und ich legte meine Hände zum namaste zusammen und bot ihr meinen pranam dar.
Gurumayi sagte auf Hindi: „Hmm, du trägst einen kaftaan!” Ein kaftaan ist ein Hemd mit Kragen aus dicker, handgewebter Baumwolle.
Ich nickte und sagte: „Ja, Gurumayiji.”
Gurumayis Lächeln wurde breiter und sie fügte hinzu: „Heute siehst du wie ein typischer Dilli-waali aus.” Ein Dilli-waali ist jemand aus Delhi, dort tragen die meisten Politikerinnen, Journalisten, Professorinnen und Regierungsbeamte traditionelle Baumwollkleidung von der Art, die ich gerade trug. Wir lachten beide.
Gurumayi sagte dann: „Ich habe dich seit letzter Woche nicht mehr gesehen!”
Ich erzählte ihr, dass es mir nicht gut gegangen sei, und sie fragte mich, was mir gefehlt habe. Ich antwortete, dass ich Flüssigkeitsmangel gehabt hätte. In diesem Moment kam ein Seva-Kollege vorbei, gesellte sich zu uns und sagte lächelnd: „Pallavi schleppt ihre Wasserflasche überall mit sich herum, sie trinkt sehr viel Wasser. Ich glaube, das war nur eine Ausrede für ihre Abwesenheit!”
Wir lachten alle, und dann blickte mich Gurumayi sehr aufmerksam an. In einer Handbewegung führte sie eine ihrer Hände von ihrem Mund herunter zu ihrem Herzen. „Anscheinend ist es nicht aufgenommen worden”, sagte sie sanft. Es schenkte mir ein Gefühl von tiefer Ruhe, diese Worte zu hörte und Gurumayis Handbewegung zu sehen. Gurumayi blickte mich mit unermesslicher Liebe und großem Mitgefühl an, und ich begann ein plötzliches und starkes Herzklopfen zu spüren.
Ein paar Augenblicke später setzte Gurumayi ihren Weg an der Ganesha murti vorbei fort, und ich ging zum Frühstück. Als ich auf dem Weg weiterging, spürte ich das Herzklopfen immer stärker, und ich wusste, dass dies eine außergewöhnliche Begegnung gewesen war. So wie ich mich im Inneren fühlte, Gurumayis Handbewegung und ihr Gesichtsausdruck – alles war außergewöhnlich gewesen! Gurumayis Worte begannen in meinem Geist nachzuklingen: Anscheinend ist es nicht aufgenommen worden! Ich spürte ein leichtes Kribbeln im Gehirn. Mein Geist konnte noch nicht richtig erfassen, was mitgeteilt worden war, dennoch war ich irgendwie überzeugt, dass es sowohl sehr tiefgehend als auch sehr subtil war. Die Essenz von Gurumayis Worten schien sich in meinem Herzen festzusetzen.
Ein paar Stunden später holte ich mir im Amrit einen Tee. Als ich den Tee in einen der orangefarbenen Amrit-Becher goss, merkte ich, dass der Tee aus einem Riss im Boden des Bechers tropfte. Ich schüttete ihn in einen anderen Becher um, und in diesem Moment kam mir die Bedeutung und Wichtigkeit des Wortes ’aufnehmen’ erst so richtig zu Bewusstsein — was es bedeutet, etwas aufzunehmen. Das Verstehen bewegte sich von der greifbaren, materiellen Ebene des Bechers unmittelbar in das tiefe und feine Innere meines Wesens. Es ging mir auf, dass ich – wie der Becher – ein Gefäß sein musste, das das, was in mich gegossen wurde, auch behalten konnte. Nur wenn ich das Wissen, das mir mein Guru gab, aufnahm, würde ich die Bestimmung meiner Geburt, das Selbst zu erlangen, auch erfüllen.
Hatte ich das nicht eigentlich schon vorher gewusst? Selbstverständlich. Aber jetzt dachte ich gezielt darüber nach. Ich erkannte, dass es nicht darauf ankommt, wieviel Wissen ich über die Jahre hin erhalten habe, sondern darauf, wieviel Wissen ich aufgenommen habe.
Ich dachte weiter über diese neu offenbarte Weisheit nach, und als ein paar Tage vergangen waren, nahm ich an einer Besprechung mit Gurumayi teil. Bei diesem Treffen hatte ich etwas zu präsentieren. Beim Sprechen wurde ich durstig und machte also eine Pause, um etwas Wasser zu trinken. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es im Raum, als mir jemand meine Wasserflasche gab. Ich machte sie auf und fing an zu trinken. Ich trank etwa drei Schlucke, langsam und mit Genuss. Ich spürte das Fließen des Wassers von meinem Mund in die Kehle, die Speiseröhre hinunter bis in den Magen. Mein Herz fühlte sich erfrischt. Als ich die Flasche wieder zuschraubte, streifte mein Blick Gurumayi, die mich mit einem wohlwollenden Lächeln anschaute und nickte. Ich lächelte Gurumayi ebenfalls an und spürte, dass ihr Lächeln all meine Kontemplation darüber, was es bedeutet, etwas aufzunehmen, bestätigte. Mir wurde bewusst, dass zum ersten Mal in meinem Leben Wasser wie Nektar schmeckte und dass es, wenn ich es in Maßen zu mir nehme, aufgenommen werden und meinen Durst stillen kann.
Diese Erfahrung wurde zu einem Wendepunkt in meiner Siddha Yoga sadhana. Ich hatte eine neue Bewusstheit davon erlangt, wie Gurumayi unschätzbar wertvolles Wissen durch ihre Lehren und ihr Wesen an uns weitergibt. Wenn Suchende gewillt und offen sind, dieses Wissen zu empfangen, dann sind sie auch in der Lage zu erkennen, wie sich diese Lehren in ihrem Alltag offenbaren — zum Beispiel, wenn sie Tee in einen orangefarbenen Becher gießen! Gurumayis Lehren durchdringen nun mein ganzes Leben.
Gurumayi hat eine Dilli-waali in eine dil-waali verwandelt. Gurumayi hat mich, eine Anhängerin aus Delhi, in eine Anhängerin verwandelt, die in ihrem eigenen dil (Herzen) lebt, das fortwährend von Gurumayis Lehren erfrischt wird.